Die Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise aus den 20er Jahren ähneln heutigen Szenarien von Arbeitslosigkeit und Existenzangst. Thomas Oliver Niehaus’ Inszenierung drückt jedoch nicht auf die Stimmung sondern besticht vielmehr durch Witz und Ironie. Der Zuschauer nimmt Anteil an der Liebes- und Leidensgeschichte der beiden Hauptprotagonisten Pinneberg und Lämmchen. Die beiden jungen Menschen sind frisch verliebt und so steht der Entschluss zur Heirat fest, als die Schwangerschaft Lämmchens bekannt wird. „Ihr habt Mut!“ ruft das 7-köpfige Ensemble im Chor. Doch Emma Mörschel, liebevoll Lämmchen genannt, ist sich sicher: „Fleißig sind wir, sparsam sind wir. Warum soll’s uns da denn schlecht gehen? Das geht doch gar nicht!“ Der Murkel soll zur Welt kommen und er soll glücklich sein! Julia Brettschneider spielt mit viel Elan, die brave, aber doch auch selbst bestimmte und selbstbewusste Arbeitertochter. Lämmchen glaubt immer wieder fest an den guten Ausgang ihrer eigenen Geschichte. Pinneberg hingegen ist ängstlicher. Er blickt bereits der Geburt des Kindes mit großer Nervosität entgegen. Sein angespanntes Naturell entspricht dem eines intellektuellen Angestellten. „Jungchen“ nennt ihn seine Liebste zärtlich. Diese verlegene, hin und wieder beinahe schüchterne Haltung bringt Philipp Manuel Rothkopf gekonnt auf die Bühne. Als der Murkel (ein gewickeltes Deckchen, akustisch nachempfunden von den Schauspielern) schließlich auf die Welt kommt, scheint das Glück der beiden perfekt. Selbst die plötzliche Kündigung Pinnebergs kann die frisch vereinte Familie nicht aus der Bahn werfen. Der Neuanfang soll in Berlin vollbracht werden, denn dort lockt ein Freund von Mutter Pinneberg mit den Worten: „Ich besorg Ihnen eine Stelle, Pinneberg. Versprochen!“ Bald schwindet jedoch der Mut und Elan der jungen Eheleute. Pinneberg fühlt sich nicht zu den Gewinnern zählend. Vielmehr spürt er die Anonymität der Großstadt. Er ist einer von Millionen deren Mäuler gestopft werden müssen. Schließlich wird Pinneberg zum gehetzten Verkäufer um die Familie zu ernähren. Wer zu wenig Umsatz macht, der fliegt. „Einen Menschen danach zu beurteilen wie viele Hosen er verkauft… Da werde ich doch verrückt! Damit ziehen die lauter Raubtiere hoch!“ mokiert sich Lämmchen und muss bald darauf realisieren, dass das Elend ihre kleine Familie längst ergriffen hat.
Doch es gibt Freunde in der Not und als Pinneberg endgültig an seinem gesellschaftlichen Absturz zu scheitern droht, steht Heilbutt, ein ehemaliger Arbeitskollege, helfend zur Seite. Karsten Meyer schlüpft, neben zwei weiteren, auch in die Rolle des gerissenen, aber Mensch gebliebenen, Heilbutt. Meyer mimt seine Charaktere mit viel Extravaganz und gibt dem Schauspiel, ebenso wie die übrigen sechs Mitglieder des Ensembles, einen ironischen Ton. So verliert der Zuschauer während des gesamten Stücks nie die Hoffnung, dass sich die Geschichte nicht doch noch zum Guten wenden kann.
„Nichts ist zu Ende, das Leben geht weiter!“ Und tatsächlich: Am Ende siegt die Hoffnung der beiden Protagonisten und ihr Glaube an die Liebe. Kurz vor dem endgültigen Absturz, dem gesundheitlichen Verfall und der Aufgabe der eigenen Existenz, müssen beide Charaktere erkennen: „Es ist das alte Glück! Es ist die alte Liebe!“ Wie ein Schwur hallt die Einsicht im Chor und gemeinsam kehren Pinneberg und Lämmchen in ihren Verschlag zum Murkel zurück um ihr persönliches Glück zu retten und zu wahren.
Hans Falladas Roman wurde noch im Erscheinungsjahr 1932 ein großer Erfolg. Er brachte die Gefühle und Ängste der damaligen Bevölkerung zum Ausdruck. Zu jenem Zeitpunkt befand sich Deutschland mitten in der Weltwirtschaftskrise, die im Oktober 1929 in Amerika durch den Zusammenbruch des Aktenmarks ausgelöst wurde. Das Elend erstreckte sich bald auch über ganz Deutschland und erreichte seinen Höhepunkt im Erscheinungsjahr des Fallada-Romans.
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