Die Geschichte klingt zunächst einfach: Die junge Grace befindet sich auf einer Mission. Sie landet durch Zufall vor den Toren einer Sklavenfarm und will den Sklaven, idealistisch wie sie ist, die Freiheit schenken. Indem sie sie zu selbst bestimmt handelnden Menschen erzieht. Doch natürlich lässt sich eine etablierte Gesellschaftsform nicht so mir nichts, dir nichts umwerfen. Grace wird nicht nur scheitern, sondern vom Helfer zum Henker werden.
Ringen mit Systemstrukturen
„Manderlay“ ist Lars von Triers zweiter Teil seiner Amerika-Trilogie. Moment, zweiter Teil? Wieso nicht mit dem ersten beginnen? Inge Zeppenfeld, die nicht nur die Dramaturgin des Stücks ist, sondern auch an der Stückauswahl der jetzigen Spielzeit beteiligt war, erklärt das einfach und sachlich: „,Manderlay‘ steht auch ohne ,Dogville‘ für sich selbst. Und wir haben uns für Triers ,Manderlay‘ entschieden, da es sich thematisch perfekt in die Spielzeit eingliedert.“ Das Ringen mit Systemstrukturen steht derzeit im Vordergrund, denkt man an andere momentan laufende Produktionen. Kafkas „Prozess“, Orwells „Farm der Tiere“ oder Bulgakovs „Der Meister und Margarita“.
Und es sind auch Systemstrukturen, die den tiefen Fall der Idealistin Grace vorbereiten: Die junge Frau versucht, in einer Gruppe von Menschen demokratische Verhältnisse zu installieren, und scheitert. Fragen nach dem Export von Demokratie und westlichen Werten tun sich auf. Und das ist tagesaktuell, denkt man etwa an westliches Missionierungsgebärden, an Demokratisierungsversuche und auch an deren Ausnahmen: Dulden wir Diktaturen, da sie wenigstens für Stabilität sorgen? Was sind Sklaven in der heutigen Zeit? Billiglohnkräfte, Wirtschaftssklaven, die Nachrichten sind voll davon. Inge Zeppenfeld: „Als wir uns vor über einem Jahr entschlossen haben, das Stück in der Spielzeit zu zeigen, hat uns das Schicksal quasi zugespielt. Dennoch: Denken Sie jetzt bitte nicht, das Stück gibt Antworten auf all die elementaren Fragen, die aufkommen, wenn man sich mit -Demokratie, Staatsformen, richtig und falsch beschäftigt. Das macht es nicht. Und soll es auch nicht.“
Kopfkino
Lars von Trier gilt als einer der radikalsten, aber auch verstörendsten Filmemacher. Regisseur Jan Langenheim möchte in seiner Inszenierung aber weniger „mit einem riesigen Zeigefinger in den Wunden der Gesellschaft herumbohren“. Er möchte einen sinnlichen, kontrastreichen Theaterabend schaffen. Der durchaus auch Spaß machen soll - Humor und analytische Schärfe seien hier kein Widerspruch: „Lars von Triers Film hat etwas von einer Versuchsanordnung. Alles scheint offen, klar und transparent zu sein - und plötzlich ist man in einem hermetischen Labyrinth voller Widersprüche gefangen. Das ist gemein, aber auch komisch.“, sagt er. „Wir wollen untersuchen, wie schwierig es ist, ein guter Mensch zu sein - und Begriffe wie Freiheit und Demokratie immer wieder neu zu buchstabieren. Wie schnell unser Idealismus dabei zu Arroganz werden kann. Und wie sehr wir es gerade deswegen immer wieder versuchen müssen. Ich hoffe, wir schaffen das, ohne kitschig zu werden. Oder selbst arrogant!“
Außerdem wollen Langenheim und Zeppenfeld nicht einfach den Film kopieren. Sie wenden sich bewusst ab von der amerikanischen Variante, lassen Grace nicht auf einer Sklavenfarm im Amerika der 30er Jahre ihren missionarischen Eifer versprühen. „Das Stück spielt hier bei uns im Theater!“ Und es wird ein Bühnenbild geben, Requisiten, Kostüme und sogar Gesang. Hier wendet man sich bewusst ab von der minimalistischen Filmvorlage. Schließlich entsteht hier gerade etwas Neues. Von Trier mag zwar das groteske Märchen um eine verhätschelte Gangstertochter, die aufbrach, die Welt zu retten, geliefert haben, die Adaption in unsere Gesellschaft auf der Bühne des Theater Aachens liefern Langenheim und Zeppenfeld mit 13 Darstellern und der Statisterie des Theater Aachen.
Die schwerste Frage
Die Titelfigur spielt Lara Beckmann. Sie ist mit Sicherheit eine andere, modernere Variante der Film-Grace. Aber die Frage die im Raum schwebt und immer immer wieder diskutiert wird, bleibt. Ist Grace Opfer oder Täterin? Jan Langenheim leitet ein: „Man fragt sich: Was macht sie eigentlich falsch? Auf den ersten Blick ist ja alles okay.“ Schließlich habe Grace im Grunde gute Absichten. „Und doch“, beendet -Zeppenfeld seinen Satz: „fruchtet es nicht, was sie tut. Welches Recht hat sie, in eine bestehende Struktur einzugreifen, beziehungsweise warum geht ihre gute Absicht im System so nach hinten los?“ \ kw
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