Die beiden Mädchen Nini und Jameelah können es kaum abwarten endlich erwachsen zu werden. Akribisch planen die beiden 14-Jährigen ihre „Defloration“, sie klauen Schmuck, reißen Männer auf und trinken während ihrer Streifzüge Tigermilch, eine Mischung aus Milch, Mariacron und Maracujasaft.
Als Stella Stardust und Sophia Saturna ziehen sie durch Berlin um das Leben auszukosten. Alles ist für sie nur ein Spiel. Nini und Jameelah sind unbeschwert, weil sie ihr Leben in der Großstadt nicht anders kennen.
Die erste Irritation entsteht jedoch, als Jameelah und ihrer Mutter die Abschiebung in den Irak droht. Die Ferien haben allerdings gerade erst begonnen, und so werden die alltäglichen Probleme weggeschoben und weichen naivem Optimismus und kindlicher Gedankenlosigkeit. Beide Mädchen sind verliebt und wollen ihren jeweiligen Schwarm für sich gewinnen.
Das Ende der Kindheit
So überlegen sie auch nicht lange, als sie von einem Liebeszauber erfahren, den sie bei Mitternacht auf dem Spielplatz vollführen. Dort beobachten sie zufällig einen Mord: Ihr Nachbar Tarik, der für sie fast so etwas wie ein großer Bruder ist, tötet seine eigene Schwester, weil die sich mit einem Serben verlobt hat. Danach ist nichts mehr so wie es war.
Diese neue Realität gefällt den beiden Mädchen nicht, also beschließen sie den Mord und damit das Trauma zu ignorieren und zur Normalität zurückzukehren. Getreu dem Motto „Besser etwas falsches tun, als gar nichts tun!“ verkaufen sie sich an zahlende Männer.
Hilfloses Überspielen
Alkohol und Sex helfen jedoch nicht, sie können den Rausch nicht genießen. Das ehemals unbeschwerte Spiel wirkt auf einmal einstudiert und langweilig. Es gelingt ihnen nicht, nach dem Mord zu ihrer kindlichen Routine zurückkehren.
In dem Theaterstück nach dem Roman von Stefanie de Velasco werden Begriffe wie „Familienehre“, „Stolz“, „Kultur“ oder „Religion“ nie genannt, dennoch sind dies die zentralen Konfliktpunkte, um die sich die Handlung zwischen den Berliner Plattenbauten dreht. Damit wird auf nachvollziehbare Weise die fehlende Artikulationsfähigkeit der beiden Protagonistinnen, die noch halbe Kinder sind, veranschaulicht.
Sie haben keine Begrifflichkeiten für das, was um sie herum passiert, dennoch spüren sie die Probleme.
Zerreißprobe
Schließlich wird die Freundschaft auf die entscheidende Probe gestellt, als Amir, Tariks kleiner Bruder, den Mord gesteht. Die beiden Mädchen hatten den unsicheren Jungen unter ihre Fittiche genommen und sind von jetzt auf gleich mit Entscheidungen konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet sind.
Nini will Amir helfen und bei der Polizei aussagen, Jameelah ist dagegen. Plötzlich steht die kulturelle Kluft zwischen den besten Freundinnen.
Abschiebung und Annäherung
Die ehemals so wichtigen Dinge scheinen nun bedeutungslos, der Verlust der Freundschaft fällt zusammen mit dem Ende der Kindheit. Nini versucht, das Gefühl zurückzuholen und mit ihrem neuen Freund am Limit zu leben. Doch dann geschieht es: Jameelah wird abgeschoben. Das Ende ist hoffnungsvoll, denn in Anbetracht der endgültigen Trennung nähern sich beide Mädchen wieder an.
Die Schauspielerinnen Luana Bellinghausen (Nini) und Lara Beckmann (Jameelah) spielen alle Rollen und vermitteln, trotz des spartanischen Bühnenbildes, hervorragend die dichte Atmosphäre eines Großstadt-Ghettos und eines letzten Sommers der Kindheit. \ bb
9.10.
„Tigermilch“
20 Uhr Mörgens, Theater Aachen
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