Für den Manifesteur des Surrealismus André Breton war Dalí Zugpferd und Konkurrent zugleich und dessen Begeisterung für Diktatoren bedeutete den Rausschmiss aus der Getreuengruppe. Für das Publikum aber stach Dalí durch seine medienwirksame Selbstinszenierung und altmeisterliche Technik auch Max Ernst aus, den Begründer einer surrealistischen Bildsprache parallel zu den literarischen Experimenten zur Erforschung der Psyche im Sog von Sigmund Freud. Dalí, nicht Breton überzeugte diesen, es nicht nur mit Kindereien zu tun zu haben.
Mit Bildphantastik eroberte Dalí die Köpfe der Betrachter. Wer einmal weiche Uhren, brennende Giraffen und Frauen mit Schubladen gesehen hat, vergisst sie nie wieder, im Gegensatz zu manch anderen Mischwesen der Moderne. Die stabile Basis seiner Kombinatoriken aber sind stets Strände seiner spanischen Heimat, quasi Boden-Strändigkeit. Göttinverehrung seiner Frau Gala und eine Jugend unter psychischer Belastung, weil er zum Ebenbild des vorher verstorbenen Bruders wurde, sind fast mythisch populärpsychologisches Gemeingut.
Nachvollziehbar, dass der Junge sich fragte, wer er denn dann sei und einen Dalí erfand, der fleißig scheu produzierte und medienwirksam zum Künstlerstar wurde, der sich durch Gala enthemmt vermarkten ließ und als Genie gefeiert wird. Was als Trancebilder einer verqueren Psyche erscheint, ist persönlicher als Ernsts Geistesreizungen aus assoziativen Befremdlichkeiten, weniger geistreich als Magritte, aber phantasievolles Obsessions-Bildvokabular – methodisch kalkuliert und als „kritische Paranoia“ ausgearbeitet.
Gekonnt arbeitete Dalí, um Kitsch nicht bekümmert, in vielen Bereichen: Malerei, Plastik, Druckgraphik, Film, Kleider, Fotos, Manuskripte, Performances. Er inszenierte das eigene Museum als Kultort seiner Phantasie. Er war originell, aber scherte sich nicht um Originalität, nahm später 30 Dollar pro Blankounterschrift und ließ andere seine Arbeiten ausführen oder fälschen.
Eine schillernde und reiche Persönlichkeit mit hoher Begabung. Wie soll man jemanden inszenieren, der mit dem Markt und seinem eigenen Bildvokabular spielte, das er gerne kombinatorisch wieder aufgriff? Die Lütticher Ausstellung greift die Bildwelt in nachschöpferischen Bildern auf und entwirft einen Dalí-Parcour von ineinandergreifenden Raumabfolgen, die Stationen und Werkphasen seines Lebens in plakativen Betrachterwirkungen präsentieren und als Assoziationstheater inszenieren. Plastiken und Graphiken bilden den Bestand an Originalwerken und sind eingebettet in Wandbilder mit Wahrnehmungseffekten, Guckkastenwirkung und dekorativen 3D-Schaukästen zwischen Bühnenbild und Schaufenstergestaltung. Das wirkt kommerziell und marktorientiert, aber das war Dalí auch.
Dadaisten und Surrealisten haben E und U gemischt, sich nicht um Kopien geschert, insofern ist das aufwändig produziert und ökonomische Strömung unserer Zeit, aber auch einmaliges Experiment und populäres Darstellungsvehikel für einen populären Künstler, bzw. seine populären Bildgedächtnisleistungen, das die Wahrnehmung und Debatte lohnt. Wer also am Lütticher Bahnhof einen Zwischenstopp macht, kann sich nach wenigen Schritten unter spanischer Architekturhülle anregend Bildgedanken machen über die heutige und würdige Rezeption eines spanischen Künstlerweltstars, der sich auch selbst im Dalí-allover-Stil inszenierte und nicht in museal klassifizierten Bilderreihen.
Surreal ist das zwar nicht, aber verwirrend, weil es als Form von Fankultur mit anderer Weihe Begeisterung und Staun-Zugang zu schaffen vermag, die Lust auf wünschenswert vertiefte Annäherung machen, wie sie die Führungen bieten. In keiner Weise herkömmlich, aber gut hinkömmlich.
Die Ausstellung ist noch bis 31. August im Gare des Guillemins, Lüttich zu sehen. \
WEITEREMPFEHLEN