Sie hätte es sich sicherlich nie träumen lassen, aber in gewisser Hinsicht darf man die Aachener Immobilienmaklerin Caroline Reinartz mit Jonathan Meese vergleichen. Meese, gehandelt als einer der größten im deutschen Kunstbetrieb, ist kürzlich vor laufenden Kameras ausgerastet, als es um den tieferen Sinn der Documenta ging.
Reinartz gerät regelmäßig in Wallung, sobald ein Mikro in der Nähe oder eine Zeitung druckwillig ist. Sie rumort gegen alles Mögliche, und jetzt – tätärätä – auch gegen die zeitgenössische Kunst im Ludwig Forum.
Meese hat Recht, mit dem, was er an der heutigen Kunst bemängelt: viel zu viel Ego, viel zu wenig Respekt vor der Ideologiefreiheit, viel zu viel schlecht und unpräzise gemachte Kunst und vor allem viel zu wenig seltene Kunst.
Er krawalliert aber leider zu sehr, deswegen lachen die Leute – und Lachen und Denken gleichzeitig geht wohl nicht. Jedenfalls kommen nur die Gags an. Bei Reinartz gibt es keine eigene, sondern eine massentaugliche Haltung.
Die Kunst solle Antworten liefern, die Kunst solle schön und geschmackvoll sein, vor allem den Geschmack der Mehrheit treffen, nicht das breite Publikum vergessen. Meese würde jetzt brüllen: Ja, aber genau das macht die Kunst doch heute! Und wieder läge er richtig.
Die zurückliegende Art Cologne war zum großen Teil ein Aufkochen von längst Gesehenem in Variation. Zum Wohlfühlen. Und die Hilflosigkeit in Kassel ist tatsächlich schon so groß, dass jetzt die Philosophen, Wissenschaftler, Soziologen mit in den Zeugenstand gerufen werden, um eine Idee von Kunst irgendwie abzurunden – weil es die Kunst offenbar nicht aus eigener Kraft schafft.
Also, Frau Reinartz, fahren Sie nach Kassel, wenn Sie Antworten wollen. Kriegen Sie bestimmt. Auch wenn das nie und nimmer der Job der Kunst sein darf, kann, soll. Ich empfehle als Reiselektüre: Wolfgang Ullrich, „Tiefer hängen: Über den Umgang mit Kunst.“ 11,90 Euro für eine angemessene Versachlichung.
Der „Meese-Eklat“ in Kassel und die „Debatte“ in Aachen lassen sich auch mit Blick auf die Verwertung durch die Medien vergleichen. Im Spiegel, der den Meese-Auftritt sogar veranstaltete, ging es anschließend nur um den „Skandal“, nicht um die Inhalte. Und hier? Als anständige Zeitung würde die Aachener Zeitung nicht im ersten Schritt ihre Leser dazu aufrufen, ihren Senf abzugeben.
Sie würde einen Kunst-Redakteur in journalistisch sorgfältiger Form einordnen lassen, was das Reinartz’sche Gepolter zu bedeuten hat. Und der sollte dann Phyllida Barlow in Schutz nehmen, über deren Werke ganz sicher keine Caroline Reinartz die Deutungshoheit erlangen darf. /// Lutz Bernhardt
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