Von Katja Laska und Belinda Petri
Vom Global Player über kleine Handwerksbetriebe bis zur Eventagentur, seit kurzem sogar eine Brauerei – auf dem fünf Hektar großen Gelände mit den roten Backsteingebäuden hinter der Jülicher Straße erinnert nur noch wenig an die ursprüngliche Nutzung. Allein der Name „Alter Schlachthof“ verrät, was hier im letzten Jahrhundert los war.
Heute, während sich Supermärkte und Discounter wie Perlen an der Schnur reihen und Lebensmittel immer und überall verfügbar sind, kaum vorstellbar, aber seit der Industrialisierung ein (überlebens-)wichtiger Faktor: Die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Fleisch. Die Anfänge der Schlachterei-Geschichte Aachens liegen in der Kockerellstraße, 1841 gab es auch ein Schlachthaus am Lindenplatz. Der zentrale Vieh- und Schlachthof der Stadt entstand Ende des 19. Jahrhunderts allerdings an der Metzgerstraße.
Neuer Platz
Die Gründe? Ganz simpel: Die Innenstadt war für Anlieferungen im großen Stil nicht gut genug ausgebaut, hinzu kamen Lärmbelästigung und natürlich der Gestank. Seit 1894 kamen Groß- und Kleinvieh aus Norddeutschland und dem Ausland in Waggons über die damalige Schienentrasse in Aachens Norden und damit wie die Aachener Volkszeitung zum 60-jährigen Jübiläum des Schlachthofs titelte „Von der Rampe zur Schlachtbank“. Das Areal, das für damalige Verhältnisse sehr modern ausgestattet war – es gab bereits elektrische Beleuchtung – war in zwei Bereiche unterteilt: Die Hallen für Lebendvieh und der Schlachtbetrieb. Rund um die Metzgerstraße befanden sich zwei Schlachthallen, ein Kühlhaus, eine Maschinenhalle sowie Räume für die Herstellung von Klareis und zur eigenen Energieversorgung. Außerdem: eine Kuttlerei und ein Düngerhaus. In den 1920er-Jahren wurde der Schlachthof um die Fleischabholhalle mit Uhrenturm aus Ziegelstein und Beton an der Ecke Metzgerstraße/Feldstraße erweitert, 1935 eröffnete die Aachener Bank am Schlachthof ihre erste Zweigstelle.
Bis 1977 war der Schlachthof in städtischer Hand, danach wurde er mit Stimmen der CDU und FDP – die SPD war dagegen – privatisiert und an die Vieh- und Fleischversorgung Aachen verpachtet, Teile der Anlagen modernisiert und an EU-Richtlinien angepasst. Die Idee dahinter: Der Aachener Bevölkerung eine Gemeinschaftsaufgabe geben. Optimistisch hoffte man, „der Schlachthof wird nicht sterben“, schrieb die Aachener Volkszeitung im Frühjahr 1977.
Einige Jahre funktionierte die Arbeit der Schlachthof-Genossenschaft, die aus 130 Mitgliedern bestand. Mit der Schließung des Schlachthofs 2002 aus wirtschaftlichen und hygienischen Gründen kam die Frage nach der Umgestaltung und Nutzung des riesigen Areals auf. Die Stadt Aachen machte sich Gedanken. Der Bebauungsplan Nr. 866 „Alter Schlachthof“ wurde am 16. Januar 2007 rechtskräftig. Das Ziel: „Attraktive Entwicklung des Geländes und Verkauf von Flächen und Gebäuden an kleine und mittlere Unternehmen zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen“. Somit kam man der Nachfrage nach gewerblichen Eigentum nach. Seitdem wurde das Areal des Schlachthofes entwickelt und zu großen Teilen verkauft.
Neue Besitzer
Es haben sich viele unterschiedliche Eigentümer in den alten Hallen eingefunden. Die P3 group GmbH, die weltweit etwa 3.000 Mitarbeiter beschäftigen, hat im Frühling 2013 den ehemaligen Kraftversorgungsturm bezogen und etwa ein Jahr später die umgebaute Bogenhalle zu ihren Büros und Garagen für die Messfahrzeuge gemacht.
Die günstige Verkehrsanbindung war nicht nur im 19. Jahrhundert relevant. Auch heute ist sie, neben dem Charme der alten Backsteingebäude, ein dicker Pluspunkt. Auch für Dirk Mansfeld waren diese Aspekte entscheidend: Die 2001 von Andrej Rappe und ihm gegründete Agentur für digitale Kommunikation „Neusite“ zog 2009/2010 vom Grünen Weg in die oberste Etage des grundsanierten Direktionsgebäudes. In den mittlerweile denkmalgeschützten Gemäuern war zuvor das Veterinäramt der Stadt Aachen untergebracht, heute sind hier noch weitere Firmen aus dem Medienbereich tätig. Was laut Mansfeld am Schlachthof fehle, sei die in der ursprünglichen Planung vorgesehene Vielfalt an gastronomischen Angeboten, die Kantine bietet zwar Frühstück und Mittagessen, aber am Abend ist der Schlachthofkomplex kulinarische Diaspora.
Apropos Gastronomie: Die Kantine, neben Geller Fleischereibedarf (ein Geheimtipp für (Hobby-)Metzger, Köche und Bäcker) schon zur aktiven Schlachthofzeit hier ansässig, versorgte sowohl die Fleischer, die in blutverschmierten Kitteln nach der Schicht hier ihr Frühstück bestellten als auch die Nachtbummler nach der Party. Petra Linn hat das Lokal von ihren Eltern übernommen, sie kennt ihre Kundschaft und hat das Lokal sanft ins 21. Jahrhundert geführt. Nach wie vor steht im „Schlonnes“ das deftige Frühstück hoch im Kurs, auf der Tageskarte mit wechselndem Angebot findet sich aber auch immer ein vegetarisches Gericht.
Die Eventagentur Veventis managt die benachbarte HALLE 60 und das Loft. Im November 2016 wurde der als Teil A der Dreifingerhalle bezeichnete Gebäudeteil als Eventlocation in Betrieb genommen, hier fanden unter anderem der „Mädelsflohmarkt“ und die „Comiciade“ statt. Der bereits im Sommer 2016 im Außenbereich angetestete Abendmarkt wurde jedoch zwischenzeitlich aus verschiedenen Gründen wieder eingestellt, das schlechte Wetter in Aachen war dabei nur ein Aspekt.
Die Stadt Aachen hat ihr Ziel, das Gelände schnell zu vermarkten erreicht, aber irgendetwas scheint dem Projekt „Alter Schlachthof“ zu fehlen. Obwohl die neue Klientel des Schlachthofs – Handwerker, Forscher, Ingenieure und Medienexperten – eine interessante Mischung darstellt, gibt es kein gemeinsames Marketing, kein echtes „Wir-Gefühl“. Das weitläufige Gelände zieht, abgesehen von der Discothek Starfish und gelegentlichen Events in der HALLE 60 oder dem Loft, kaum Publikum außerhalb des Mikrokosmos der jeweiligen Firmen.
Die aktuellen Neubauten zielen auch eher auf die Nutzung als Büroflächen, ob die zuletzt in Aussicht gestellte Kaffeerösterei an den Schlachthof zieht ist ebenso offen wie die Pläne zum Bau eines Pavillons als Café.
Dabei könnte das Areal am Alten Schlachthof durchaus ein verbindendes Element gebrauchen, einen öffentlich zugänglichen Platz, an dem sich die Mitarbeiter der Unternehmen, Anwohner und Gäste treffen und austauschen können – idealerweise bei gutem Essen und Trinken, gerne auch vegetarisch. Fleisch gibt es ja zum Glück heute in Supermärkten … \
Stadtviertel
Das Gelände des ehemaligen Schlachthofs liegt im Aachener Nordviertel, ein Stadtteil, der immer schon durch die Industrie geprägt war. Heute ist Aachen Nord – auch dank des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“ – in Bewegung und bietet überraschende Vielfalt, die es hinter der rauen Schale zu entdecken gilt. Auch kulturell hat diese Ecke der Stadt etwas zu bieten. In der Liebigstraße, die damals zum Gelände des Schlachthofs gehörte, sitzt seit über 30 Jahren das Das Da Theater. Ebenfalls an der Jülicher Straße: das Ludwig Forum für Internationale Kunst, Eröffnung 1991.
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