Die Zukunft der Musik. Nichts weniger treibt den britischen Popjournalisten Robert Barry zu diesem Titel, von dem man – wir ahnen es bereits – zwangsläufig enttäuscht wird. Denn Barry weiß nicht, was die Musik der Zukunft bringt. Er ebenso wenig, wie die vielen Protagonisten, die sich in erster Linie mit „futuristischer“ Musik beschäftigen, oder wie es Komponist Terry Riley ausdrückt, „dass ich hoffe, dass es überhaupt eine Zukunft gibt“, also eher die sozial-gesellschaftliche Funktion von Musik den Bach runter gehen sieht.
Seit circa zehn Jahren wird Musik gravierend anders konsumiert, als es noch die schon damals beschleunigte Welt des Walkman versprach. Heute wird Musik vornehmlich von Algorithmen gesteuert. Die Idee des Musikalbums als geschlossenes Werk wird zwar von einem Großteil der heutigen Künstler noch verfolgt, aber die Rezeption des Konsumenten im Skip-Modus sieht oft tatsächlich anders aus.
Um sich dieser ominösen Zukunft zu nähern, springt Robert Barry in seinem überaus lesenswerten Buch durch die letzten Jahrhunderte, erklärt, warum die Oper als Kunstform die erste Musik der Zukunft darstellte, zeigt die Zukunftsentwürfe der europäischen Klassik des 19. Jahrhunderts auf, und beweist mit vielen Beispielen, warum Künstler die Musik als utopische Kraft begriffen – zum Beispiel die Stadt als Klangkörper.
„Ich glaube, dass die Verwendung von Geräuschen, um Musik zu machen, solange andauern und zunehmen wird, bis wir zu einer Musik gelangen, welche mit Hilfe elektrischer Instrumente produziert wird, die alle beliebigen hörbaren Klänge für musikalische Zwecke bereitstellen wird.“ Das schrieb John Cage 1937 in seinem Essay „Die Zukunft der Musik: Credo“ und er bezieht sich auch auf den italienischen Maler und Futuristen Luigi Russolo, der 1913 als neue Kunstform die „Kunst der Geräusche“ am Firmament aufscheinen sah. Auch die Erfindung der Eisenbahn (und ihres Sounds) bedeuteten den damaligen Komponisten eine Art Futurismus und Fortschritt, die sich bis in die Opern Richard Wagners widerspiegelte. Nicht umsonst wurde 1883 der Leichnam Wagners als einziger Passagier feierlich mit der Eisenbahn von Venedig nach Bayreuth überführt.
Die Musique Concrete, Strawinsky und Schönberg – der Weltraum war nur einen Schritt weit entfernt oder man kam direkt wie Karlheinz Stockhausen von Sirius oder vom Saturn wie Sun Ra es mit schwarzen Mythen als Gesamtkunstwerk umdeutete. Und heute, 2018, stehen die Möglichkeiten der elektronischen Musik jedem offen. Gegenläufige Bewegungen wie der Retrotrend – Mono, analoge Aufnahmetechnik, Röhrenverstärker, Lo-Fi Produktionen usw. verhindern keine Entwicklung, und die Zukunft macht auch bei gegensätzlich arbeitenden Künstlern wie Aphex Twin oder Skrillex nicht Halt.
Das Geschäftsmodell, Musik in Daten zu zerlegen, macht eines klar: Musik ist einem ökonomischen Ziel untergeordnet und damit neuer Gefahr ausgesetzt. Die Playlist bestimmt der Algorithmus. „Wir replizieren das Ewiggleiche. Die Empfehlungsalgorithmen von Spotify oder Amazon verstärken das nur.“ Trotzdem ist Barry kein Pessimist, was die Zukunft der Musik angeht, Festivals wie Borealis in Norwegen, der Showroom of Contemporary Sound in Zagreb oder die Gespräche des Autoren mit der Künstlerin Holly Herndon, die sich wagemutig mit ihrem hochgetunten Laptop in die Welt digitaler Klangexperimente wirft, senden positive Signale. Die Zukunft ist Jetzt. \ rm
Robert Barry
„Die Musik der Zukunft“
Edition Tiamat
240 Seiten, 20 Euro
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