Interview: Richard Mariaux
Die CD ist als umsatzstärkstes Musikmedium abgelöst, die Umsätze mit Vinyl-Platten sind seit 2006 zum ersten Mal schrumpfend. Was bedeutet das für die Musik – zum Beispiel auch Dein eigenes Label, die Vertriebe, letztlich die Künstler?
Umsatzrückgang ist immer eine Katastrophe. Aber die Zeiten werden noch härter. Man sieht es in der Vertriebslandschaft der Independents, wo momentan, aus der Not geboren, viele Zusammenschlüsse passieren. Die Majors (Universal, Warner und Sony) wachsen zwar dank Streaming weiter, werden sich aber auch noch gegenseitig auffressen.
Sind die Algorithmen der Suchmaschinen oder Streaming-Dienste eine Gefahr für die künstlerische Freiheit?
Digital ist keine Rettung. Es ist nur eine Verlagerung. Eine Verlagerung vom physischen in irgendwas Flüssiges was auch immer weniger kostet. Man kauft keine Platte mehr, sondern es wird gestreamt, was ja ungefähr eine halbe Platte im Monat kostet. So bleibt aber für die, die alle daran hängen – Künstler, Label und so weiter – kaum noch etwas übrig. Das heißt, ein Album musst du heute zum Beispiel beim Konzert verkaufen. Letztendlich vielleicht auch frei von einer Plattenfirma. Aber wo kein Interesse und auch kein Fan ist, ist letztendlich kein Publikum und auch kein Käufer.
Hat das Album als klassisches Format noch eine Zukunft?
Es ist durchaus legitim in Alben zu denken. Die Produzenten von Großwerken beispielsweise waren froh, als das Format der CD rauskam. Man musste die Sinfonie auf der LP nicht mehr zweimal umdrehen, sondern konnte diese in einem Stück genießen. Die drei Minuten der Single, die knapp 20 Minuten bei einer LP-Seite oder die 70 Minuten der CD … das Format ist nur eine Begrenzung. Vielleicht wird die Musik ja formatfreier. Lassen wir uns überraschen.
Aber die Rezeption von Musik wird oberflächlicher. Streaming verleitet doch mehr zum Wegskippen als bisher …
Das Problem ist in der Welt seitdem es digitale Medien gibt. Bei der Platte war ja auch die Angst da, einen Kratzer auf dem Vinyl zu hinterlassen, durch zu häufiges Hin- und Hersetzen des Tonarms. Was sich bei der Rezeption von Musik heute gerne multipliziert, ist der Mangel an Aufmerksamkeitsbereitschaft. Man kann den heranwachsenden jungen Menschen oder den überhasteten Nebenbei-Hörern nur wünschen, dass sie zur Ruhe kommen. Dann ist wieder Platz im Kopf und im Körper.
Welche Chancen haben Musiker überhaupt noch, bessere Vergütungen mit dem Streamen ihrer Musik zu erzielen? Ohne Künstler, die letztendlich die Songs liefern, gäbe es zum Beispiel kein Spotify.
Man könnte sich zum Beispiel auch einfach verweigern. Ein Beispiel von meinem Label mit der Band No More: Unsere Entscheidung war, das aktuelle Album gibt’s nicht im Stream sondern nur eine Single. Quasi als Appetizer. Und das Album ist das bisher bestverkaufteste von No More auf meinem Label. Ob das ursächlich damit zusammenhängt, ist eine andere Frage. Auch ein Künstler, eine Band hat eine Marktmacht. Aber letztendlich muss sie sich diese Marktmacht verdienen und sie erstmal erlangen. Das geht nur über den Bekanntheitsgrad. Viel spielen und ein Publikum aufbauen, früher wie heute. Jeder Fan ist Gold wert und verdient Aufmerksamkeit.
Bleibt für den klassischen kleinen Record Store überhaupt noch eine Nische übrig? Werden Handelsketten wie Saturn oder Media Markt CD und Vinyl noch im Warenangebot haben?
Das weiß ich nicht. Es gibt Gerüchte, dass sich die Ketten zurückziehen, um auf dem Platz noch mehr Fernseher und Waschmaschinen zu verkaufen. Aachen ist gesegnet mit zwei tollen, aktiven Plattenläden sowie einigen Second Hand-Plattenläden. Da kann man hingehen, da stehen Fachleute, da gehe auch ich hin und lasse mir was empfehlen. Ich kaufe aber auch online, ich horte schon Musik (lacht). Aber wir Musiknerds waren immer schon die Minderheit. Wie auch immer es weitergeht, der Wertschöpfungsgedanke steht stets im Vordergrund. Beim Vertreiber, beim Label, beim Clubbesitzer. Man engagiert sich, investiert Geld und will daraus auch wieder Geld schöpfen. Wir sollten vielmehr die Wertschätzung in den Vordergrund stellen. Wertschätzung, dass Leute ins Konzert kommen wollen, dass die Band in deine Stadt kommt, aufbaut, spielt und vorher ein Repertoire an Songs eingeübt hat, dass der Fan wirklich da bleibt und danach vielleicht auch noch ein Produkt kauft. \
Ulli Rattay
Der Aachener Ulli Rattay ist seit 1997 als freier Promoter im Musikgeschäft tätig. Neben seinem eigenen Label namens rent a dog (mit Jansen, No More, Underkarl, Botanica oder der Aachener Band Neogene) arbeitet er auch für internationale Künstler – wie zuletzt für Irmin Schmidt (Can), Salif Keita und Paul Carrack. \
WEITEREMPFEHLEN